Bortezomib (Velcade ®) Information

Velcade® – Wirkstoff Bortezomib

Bericht über die wissenschaftliche Informationsveranstaltung, Köln 15.Mai 2004

Myelom Hilfe München (MHM)
gegengelesen von Dr. Martin Kropff, Universitätsklinikum Münster


Auf dieser Veranstaltung wurden die aktuellsten Erkenntnisse zum neuen Wirkstoff Bortezomib (früher PS-341) von Spezialisten aus ganz Deutschland vorgetragen. Diese Substanz, die unter dem Handelsnamen Velcade® vertrieben wird, wurde am 26. April 2004 für die Behandlung des Multiplen Myeloms von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA) zugelassen, wenn zumindest 2 vorangegangene Therapien durchlaufen wurden und während der letzten Behandlung ein Fortschreiten der Erkrankung zu beobachten war (sog. „Third-Line-Therapie“). Die Wirkungsweise dieses sog. „Proteasom-Inhibitors“ ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Folgendes scheint jedoch festzustehen: Für das Überleben der Krebszellen sind die Bildung und der Abbau von Signalproteinen gleichermaßen wichtig. Sie sorgen u.a. für die Zellvermehrung, für die Zellhaftung und die Angiogenese (Blutgefäßneubildung). Der Abbau dieser Proteine wird von sog. „Proteasomen“ gesteuert. Das sind Enzymkomplexe, die sowohl in gesunden als auch in Krebszellen vorkommen und markierte intrazelluläre Proteine kontrolliert abbauen (umgangssprachlich handelt es sich um eine Art „Mülleimer“).

Velcade® hemmt die Proteasomen, d.h. der „Mülleimer“ wird quasi „verstopft“. Damit wird der intrazelluläre Proteinabbau verhindert. Dies führt dazu, dass sich viele Signale in der Krebszelle gegenseitig aufheben oder verhindert werden. Im Ergebnis führt dieses „Informationschaos“ zur

a) Hemmung des Tumorwachstums
b) Hemmung der Angiogenese
c) Apoptose der Krebszellen (Zelltod der vorher „unsterblichen“ Krebszellen)
d) Hemmung der Interaktion mit Bindegewebszellen des Knochenmarks

Bildlich gesprochen „erstickt die Zelle an ihrem eigenen Müll“, wie es ein Referent formulierte. Natürlich sind auch die gesunden Zellen betroffen, aber es wurde festgestellt, dass sich diese Zellen im Gegensatz zu den Krebszellen wieder regenerieren, wenn die Behandlung turnusgemäß nach 4 Injektionen an den Tagen 1, 4, 8 und 11 für zehn Tage unterbrochen wird. Krebszellen sind anscheinend besonders auf die Funktion der Proteasomen angewiesen und reagieren daher empfindlicher auf deren Hemmung.

Die Gabe von Velcade® erfolgt als intravenöse Injektion, nachdem das Pulver in Injektionslösung (Kochsalzlösung) aufgelöst wurde. Empfohlen wird eine Dosis von 1,3 mg/m2 Körperoberfläche (entspricht im Normalfall etwa 2,6 mg). Zur Vorbeugung kann ein Mittel gegen Übelkeit verabreicht und anschließend noch Kochsalzlösung (etwa 50 ml) nachgespült werden. Vor jeder Injektion wird eine Kontrolle des Blutbildes angeraten, um z.B. die Thrombozytenzahl, die Leukozytenzahl und den Hämoglobin-Wert, die sich erniedrigen können, im Auge zu behalten. Die optimale Dauer einer Behandlung mit Velcade® ist bislang noch nicht bekannt. In der SUMMIT-Studie wurden alle Patienten, bei denen die Krankheit nicht fortschritt und die keine schwerwiegenden Nebenwirkungen aufwiesen, mit 8 Zyklen behandelt. In der nachfolgenden APEX-Studie, in der Velcade®, mit Dexamethason verglichen wird (siehe unten), war vorgesehen, dass die Patienten im Anschluss an die 8 Therapiezyklen noch 3 Erhaltungszyklen mit einer geringeren Injektionsfrequenz (nur noch einmal wöchentlich) erhalten. An diesen Erfahrungen muss sich die Behandlungsdauer außerhalb von Studien orientieren.

In der sog. „SUMMIT-Studie“ (eine Phase-ll-Studie mit 202 Patienten, von denen 91 % vor der Behandlung refraktär, d.h. resistent auf Behandlungen waren) wurde festgestellt, dass 24% der Patienten teilweise und 4% komplett ansprachen. Letztere wiesen eine sog. „negative Immunfixation“ auf. Patienten, die auf die Therapie ansprachen, lebten wesentlich länger, als Patienten, die auf die Therapie nicht ansprachen. Erfreulich ist, dass die Wirksamkeit dieses Medikamentes auch bei schlechten Prognosefaktoren, wie einer Chromosom-13-Deletion oder erhöhtem ß2-Mikroglobulin, gegeben ist. Es wurde betont, dass eine Kombination mit Dexamethason evtl. bessere Ergebnisse erwarten lässt.

Natürlich können bei dieser Behandlung auch Nebenwirkungen auftreten. Die wichtigste, die Behandlung begrenzende Nebenwirkung, ist die periphere Neuropathie [= Nervenstörung mit Schmerzen und Taubheitsgefühlen, vor allem an Füßen oder Händen]. Die periphere Neuropathie kann die Patienten sehr stark beeinträchtigen und ist leider nur schwer therapeutisch beeinflussbar. Bei stärkeren Nervenschmerzen durch die Neuropathie sollte die Dosis auf 1 mg/m2 reduziert oder die Behandlung bis zum Abklingen der Symptome unterbrochen werden. Danach besteht die Möglichkeit, die Therapie dosisreduziert (0,7mg/m2) oder nur einmal wöchentlich fortzusetzen. Über die Rückbildungsfähigkeit der Neuropathie nach Abschluss der Therapie ist zurzeit noch wenig bekannt. Weitere Nebenwirkungen, wie z.B. Erniedrigung der Blutzellwerte (s.o.), Übelkeit, Durchfall und Fatigue [schwere Erschöpfung] können auftreten, aber beeinträchtigen die Patienten in der Regel nicht sehr stark bzw. bilden sich spontan zurück.

Bis Ende 2005 wird für Velcade® auch die Zulassung als Zweitlinien-Therapie beim Multiplen Myelom angestrebt. Damit ist die Anwendung bei Rückfall oder refraktärer Erkrankung nach einer vorangegangenen Behandlung gemeint. Die Zulassung von Velcade® als Primärtherapie beim Multiplen Myelom wird wohl noch bis 2008/2009 auf sich warten lassen, da erst dann verlässliche Ergebnisse entsprechender Studien vorliegen werden. Es könnte darüber hinaus sein, dass Velcade® als Erhaltungstherapie nach Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation eine wesentliche Rolle spielen wird. Auch die Kombinationstherapie mit Dexamethason, Cyclophosphamid und anderen Substanzen erscheint interessant. Einige Studien sind hierzu bereits angelaufen. Zusätzlich wird auch der genaue Stellenwert von Velcade® bei anderen hämatologischen Erkrankungen und sogar bei soliden Tumoren untersucht. So sind z.B. vorläufige Ergebnisse beim Mantelzell-Lymphom viel versprechend.

Insgesamt haben wir den Eindruck gewonnen, dass es sich bei Velcade® um ein Medikament handelt, das eine erhebliche Bereicherung für Betroffene mit Plasmozytom/Multiples Myelom darstellt. Aufgrund der Nebenwirkungen bedarf es aber einer genauen Behandlungskontrolle in den Händen eines erfahrenen Anwenders.

Wenn Sie zur Gruppe der Patienten gehören, für die Velcade® zurzeit indiziert ist (Definition siehe oben), empfehlen wir Ihnen, mit Ihrem Arzt über diese Behandlungsmöglichkeit zu sprechen. Weitere Informationen sind auch unter www.velcade.info im Internet oder bei der Myelom Hilfe München abrufbar.

[Anmerkung der Redaktion: Die positiven Daten der SUMMIT-Studie werden inzwischen auch durch die Zwischenanalyse einer noch laufenden randomisierten Phase-lll-Studie (sog. „APEX-Studie“) bestätigt. In dieser Studie wird Bortezomib als Hochdosis-Therapie mit Dexamethason bei 669 Patienten mit refraktärem oder fortschreitendem Myelom geprüft. Bei Patienten, die mit Bortezomib behandelt wurden, kam es deutlich später zum Krankheitsrückfall als bei Patienten der Dexamethason-Gruppe. Daraufhin wurde den Dexamethason-Patienten eine Umstellung auf Bortezomib angeboten.]